Teilhabe stärken – Ein Gespräch mit Moritz Fromm über den Richtlinien-Prozess zur Öffentlichkeitsbeteiligung der Stadt Frankfurt am Main

Angesichts der vielbeschworenen Krise der Demokratie wächst der Ruf nach einer Stärkung der Beteiligungsformen von Bürger:innen am politischen Prozess. Moritz Fromm hat den Richtlinien-Prozess zur Öffentlichkeitsbeteiligung der Stadt Frankfurt am Main (externer Links) begleitet und berichtet im folgenden Interview mehr über dessen Ablauf und darüber, wie sich dieser in das Forschungsvorhaben des GRKs einordnen lässt. Moritz Fromm ist aktuell wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur von Sandra Seubert mit Schwerpunkt Politische Theorie an der Goethe-Universität Frankfurt und assoziiertes Mitglied im GRK. In seiner Dissertation arbeitet er an den konzeptionellen Grundlagen einer transnationalen Volkssouveränität. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit sogenannten demokratischen Innovationen. Das sind solche Verfahren, die Bürger:innen direkt am Regieren beteiligen sollen.

Johanna: Was genau ist der Richtlinien-Prozess zur Öffentlichkeitsbeteiligung der Stadt Frankfurt am Main und wie ist es dazu gekommen, dass Du diesen als Beobachter begleitet hast?

Moritz: Ziel des Prozesses war die Erarbeitung einer Richtlinie, die für informelle Beteiligungsverfahren der Stadt Frankfurt verbindlich ist. Informelle Beteiligungsverfahren sind solche Verfahren, die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind. Dabei sollte die Richtlinie selbst das Resultat eines partizipativen Verfahrens sein, in dem Politik, Verwaltung, organisierte Zivilgesellschaft und Bürger:innen gemeinsam eine Richtlinie erarbeiten, die am Ende von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen werden soll. Wie bei solchen Verfahren nicht unüblich, war eine wissenschaftliche Evaluation vorgesehen. Dafür ist die Stabsstelle Bürger:innenbeteiligung der Stadt Frankfurt auf uns zugekommen.

Johanna: Was war Deine Aufgabe während der Beobachtung?

Moritz: Letztendlich ging es um das Verfassen eines Evaluationsberichts. Dafür hatte ich die Möglichkeit den Arbeits- und Lenkungskreise zu beobachten, welche die beiden Hauptgremien des Verfahrens waren. Im Arbeitskreis wurde der Text der Richtlinie von Bürger:innen, Verwaltung und Politik erarbeitet. Im Lenkungskreis bewerte die Verwaltungsspitze die Auswirkungen der Richtlinie auf das Verwaltungshandeln. Am Ende des Prozesses habe ich meine Beobachtungen mit Bezug auf Fachliteratur zu einem Evalutionsbericht gebündelt.

Johanna: Warum, mit was für einer Zielsetzung, wurde das Verfahren von der Stadt Frankfurt angesetzt?

Moritz: Die Stadt Frankfurt ist nicht die erste Stadt, die sich Richt- oder Leitlinien für Bürger:innenbeteiligung gibt.1 Damit reagieren die Kommunen sicherlich zunächst auf die Zunahme an Beteiligungsverfahren. Es hat aber auch damit zu tun, dass einzelne Dezernate oder Ämter sehr erfahren in der Durchführung von Beteiligungsverfahren sind und andere Teile der Verwaltung vielleicht Beteiligungsverfahren aufsetzen wollen, aber über keine Erfahrung verfügen. Ich denke, es ging also auch darum das Wissen der Verwaltung zu bündeln und gemeinsam mit Bürger:innen und Politik einen Standard für zukünftige Verfahren zu setzen, auf den sich alle Beteiligten berufen können.

Johanna: Du hast davon gesprochen, dass bei dem Richtlinienprozess Standards für zukünftige Verfahren erarbeitet wurden. Wie gliedert sich dieses Projekt in das Forschungsvorhaben des GRKs ein?

Moritz:   Der Prozess ist auf mehreren Ebenen für das Forschungsvorhaben des GRKs relevant. Wir beobachten, dass die Ausweitung von Bürger:innenbeteiligung durch eine Art public-privat-partnership organisiert ist, in der öffentliche Auftraggeber private Dienstleister mit der Organisation von Beteiligungsverfahren betrauen. Da es für viele Verfahren keine gesetzlichen Vorgaben gibt, liegt die Standardisierung also beim Zusammenspiel dieser Dienstleister, Verwaltungen und teilweise auch der Wissenschaft, die Beteiligungsverfahren evaluiert. Die in diesem Feld Angestellten rotieren zwischen diesen drei Bereichen, sodass man vielleicht von einer recht geschlossenen Gruppe Professioneller sprechen kann, die maßgeblich die Standards für Beteiligungsverfahren setzt.

Natürlich zeigt aber auch die Zunahme an Beteiligungsverfahren ganz grundsätzlich, dass die Verwaltungen und die Politik nach neuen Formen des Regierens Ausschau halten. Sie machen die Erfahrung, dass sich Vorhaben mit gut durchgeführten Beteiligungsverfahren besser durchführen lassen oder stellen sich sogar ganz grundsätzlich die Frage, wie verloren gegangenes Vertrauen in die etablierten Verfahren wiederhergestellt werden kann.

Der Richtlinienprozess war ein Beispiel für kollaboratives Regieren. Das heißt, dass Verwaltung, Politik und Bürger:innen als Partner an einem gemeinsamen Vorhaben arbeiten. Aus Sicht des GRKs sollten wir uns diese Formen des Regierens anschauen und beispielsweise darauf hinweisen, dass sie ein grundsätzliches Vertrauen der Bürger:innen in Verwaltung und Politik eher voraussetzen könnten, als es zu erzeugen.

Johanna: Die treibenden Kräfte der Organisation von Beteiligungsverfahren sind also Verwaltung, sowie private Dienstleister und auch die Wissenschaft. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund die demokratische Legitimation dieser Verfahren charakterisieren?

Moritz: Das lässt sich so pauschal nicht beantworten, dafür sind die Verfahren zu heterogen. Aber es lässt sich durchaus festhalten, dass die meisten Verfahren nicht „von unten“ aus der Bevölkerung initiiert werden, sondern von der Verwaltung oder Politik. Mark Warren hat diese Entwicklung – wie ich finde treffend – als „governance-driven democratization“ beschrieben.2 Und es lässt sich auch festhalten, dass die meisten Verfahren von Unternehmen durchgeführt werden, die natürlich Geld verdienen wollen. Es gibt aber natürlich auch Verfahren, die von NGOs oder sozialen Bewegungen initiiert und durchgeführt werden.

Ich denke nicht, dass diese governance-driven democratization grundsätzlich problematisch ist. Aber wir sollten bei der Analyse der Entwicklung im Blick behalten, wer die Verfahren mit welchem Zweck durchführt. Bürger:innenbeteiligung ist kein monolithischer Gegenstand. Manche Verfahren müssen vielleicht gar nicht besonders legitim sein. Andere Ideen laufen auf eine weitreichende Reform der Demokratie hinaus. In der öffentlichen Diskussion – aber auch in der Wissenschaft – wird zu viel in einen Topf geworfen, auf dem Beteiligung oder Partizipation steht. Tatsächlich aber haben wir es mit einem riesigen Feld zu tun, welches von lokalen Informationsveranstaltungen zu nationalen Klimaräten reicht. Es hilft wenig, dieses Feld pauschal als technokratische Form des Regierens oder als Rettung der Demokratie verstehen zu wollen.

Johanna: Kannst Du die wichtigsten inhaltlichen Punkte der ausgearbeiteten Richtlinie zusammenfassen?

Moritz: Mit der Richtlinie soll die Einführung einer Vorhabenliste beschlossen werden, auf der alle Vorhaben der Stadt Frankfurt gelistet werden. Über diese Liste können Bürger:innen auch einsehen, ob eine Beteiligung zum Vorhaben geplant ist oder nicht. Mit einem Quorum von 200 Personen soll es außerdem die Möglichkeit geben eine Beteiligung vorzuschlagen, die nicht geplant ist. Außerdem soll ein Beteiligungsbeirat als beratendes Gremium die Umsetzung der Richtlinie begleiten und die Rolle der Stabsstelle für Bürger:innenbeteiligung wird in der Richtlinie definiert.

Die in der Richtlinie festgelegten Qualitätskriterien betonen die Relevanz von Transparenz und Verbindlichkeit gegenüber den Bürger:innen und der Inklusivität der Verfahren. Im Vergleich zu anderen Leitlinien nimmt außerdem die – gesetzlich vorgeschriebene – Kinder- und Jugendbeteiligung an sie betreffenden Vorhaben eine prominente Rolle ein.

Johanna: Der Richtlinienprozess formuliert den Anspruch, insbesondere die Teilhabe von Menschen zu fördern, die bisher wenig Einfluss auf die Politik hatten. Wird dieser Anspruch erfüllt und was könnte es für Verbesserungsvorschläge für zukünftige Verfahren geben?

Moritz: Neben dem Arbeitskreis, für den sich die Bürger:innen im Vorhinein bewerben mussten, gab es auch aufsuchende Formate, die den Prozess inklusiv gestalten sollten. Allerdings war zum einen der Gegenstand des Verfahrens relativ technisch und zum anderen der Zeitaufwand relativ hoch. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass der Anspruch für den Richtlinien-Prozess vielleicht nicht ganz eingehalten wurde.

Grundsätzlich ist es natürlich erfreulich, dass Verwaltung und auch Politik sich Gedanken machen, wie sie die Teile der Bevölkerung in solche Verfahren integrieren können, die sich nicht von selbst beteiligen. Aber aufsuchende Formate, eine aktive Ansprache oder Losverfahren kosten Geld, welches sinnvoll eingesetzt werden sollte. Außerdem darf man auch keine unrealistischen Erwartungen haben. Um die Teile Bevölkerung wieder am demokratischen Prozess zu beteiligen, die sich nichts von Politik und Verwaltung erwarten, braucht es sozio-ökonomische Veränderungen und keine Beteiligungsverfahren.

Ich denke, man muss schauen, welche Gruppen für welche Verfahren erreicht werden müssen, damit sie effektiv und legitim sind. Dann muss man schauen, ob und wie sich das bewerkstelligen lässt. Inklusivität ist kein Selbstzweck von Beteiligung, auch wenn das vielleicht erstmal komisch klingt.

Außerdem tut man gut daran, die Erwartungen in diesem Punkt etwas herunterzufahren. Dann fällt die Bilanz vieler Verfahren in Bezug auf die Frage wer sich beteiligt, auch deutlich besser aus, als es andererseits auch immer wieder behauptet wird. Es beteiligen sich durchaus Bürger:innen, die der bestehende politische Prozess bislang nicht – oder zumindest nicht in der Intensität – erfasst.

Johanna: Vielen Dank für diesen spannenden Einblick!


  1. https://www.netzwerk-buergerbeteiligung.de/kommunale-beteiligungspolitik/sammlung-kommunale-leitlinien/browse/4/ (externer Link) ↩︎
  2. Warren, Mark E. (2009). Governance-Driven Democratization. In: Critical Policy Studies. 3/1: 3-13. ↩︎