Ein Interview mit dem Kollegiaten Charles Paul Louis Thiebaud

Meine Hauptforschungsgebiete im Konzept des policy entrepreneurship

Romy & Jonathan: Guten Tag, Charles. Du bist seit Juni 2023 Teil des Graduiertenkollegs. Was war deine Motivation dich für das GRK „Standards des Regierens“ zu bewerben?

Charles: Ich habe mich für eine Promotion entschieden, weil mich wissenschaftliches Arbeiten und die intensive Auseinandersetzung mit komplexen Fragestellungen schon immer fasziniert haben. Besonders das interdisziplinäre Konzept der DFG-Forschungsgruppe „Standards des Regierens“ hat mich angesprochen, da es politische, rechtliche, philosophische und soziologische Perspektiven vereint. Zudem ist das Thema „Standards des Regierens“ hochaktuell und in vielen Bereichen noch relativ unerforscht, was spannende wissenschaftliche Möglichkeiten eröffnet. Die zahlreichen hochinteressanten Fallstudien und konkreten Anwendungsbeispiele bieten die Chance, theoretische Erkenntnisse mit realen Herausforderungen zu verknüpfen und so praxisnahe Forschung zu betreiben.

Romy & Jonathan: Der Titel des Graduiertenkollegs ist weit gefasst. Was sind deine ersten Gedanken zu „Standards des Regierens“?

Charles: Es geht um Fragen der Regelung und Steuerung von politischen und administrativen Prozessen durch formelle (und vielleicht auch informelle) Standards. Regieren soll bestimmten Standards gerecht werden, möglicherweise wird Regieren aber auch erst durch bestimmte Standards erleichtert oder gar ermöglicht. Interessant ist auch in Augenschein zu nehmen woher diese (neuen) Standards herkommen, wer (welche Akteure) Standards festlegt, und wie diese durchgesetzt und/oder akzeptiert werden. In welcher Relation stehen Standards zu Krisen, zu globalen Herausforderungen (Klimakrise, Digitalisierung, geopolitische Machtverschiebungen etc.)?

Romy & Jonathan: Worin liegt dein Forschungsinteresse und in welche thematische Richtung führt deine Promotionsarbeit?

Charles: Im Bereich der Vergleichenden Politikwissenschaft und der Europäischen Governance liegen meine Hauptforschungsgebiete im Konzept des policy entrepreneurship, welches auf industrielle und klimatische Herausforderungen angewendet wird. Meine Doktorarbeit untersucht die ökologische Transformation der Automobilindustrie in Europa durch die Nutzung von Standards und legt dabei einen besonderen Schwerpunkt auf die Rolle der Europäischen Kommission als Hauptakteur, als main policy entrepreneur. Ein besonderes Augenmerk wird auf den Einfluss von Deutschland und Frankreich in diesem Transformationsprozess gelegt, der aus einer vergleichenden Perspektive analysiert wird.

„In diesem Transformationsprozess möchte ich untersuchen, ob politische Akteure industrielle Veränderungen steuern können“

Charles Paul Louis Thiebaud ist 29 Jahre alt und seit Juni 2023 Kollegiat im DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“. Zuvor absolvierte er seinen Master in „Politikwissenschaft“ an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und „Sociology: Social Research“ an der Universität zu Köln.

Romy & Jonathan: Vielen Dank für den Einblick in dein Vorhaben. Inwieweit ist dein Forschungsvorhaben von gesellschaftlicher Relevanz?

Charles: Ich beschäftige mich mit der Transformation der Automobilindustrie, einer Schlüsselindustrie, im Kontext der Klimakrise: Die Automobilbranche ist ein zentraler Wirtschaftssektor in Europa, aber auch ein entscheidender Faktor in globalen Klimaschutzbestrebungen. Mit einem Fokus auf die Rolle von Standards und die Politik der Europäischen Kommission in diesem Transformationsprozess möchte ich untersuchen, ob politische Akteure industrielle Veränderungen steuern können, und ob ökologische und wirtschaftliche Ziele miteinander zu vereinbaren sind, bzw. welche Ziele und Motivationen ausschlaggebend für Transformationsbemühungen sind. Zudem beleuchtet die vergleichende Analyse des Einflusses von Deutschland und Frankreich, wie unterschiedliche nationale Interessen und politische Strukturen die Gestaltung von Umweltpolitik und Innovation beeinflussen. Die Automobilindustrie steht vor der Herausforderung, ihre Produktion nachhaltig zu gestalten und gleichzeitig wettbewerbsfähig zu bleiben, und Arbeitsplätze zu sichern.

Romy & Jonathan: Hat sich dein Promotionsvorhaben verändert oder konkretisiert, seitdem du Teil von „Standards des Regierens“ bist?

Charles: Nicht zuletzt dank meiner Teilnahme am Forschungsprogramm konkretisiert sich mein Forschungsvorhaben. Zahlreiche Diskussionsrunden und themenverwandte Veranstaltungen in Form von Workshops, Seminaren und Konferenzen helfen dabei, neue Perspektiven und Impulse zu erhalten. 

„Gerade Themenstellungen mit gesamtgesellschaftlicher Relevanz profitieren von der im Graduiertenkolleg gegebenen wissenschaftlichen Breite“

Romy & Jonathan: Eine Promotion in einem Graduiertenkolleg unterscheidet sich von anderen Promotionsformen. Worin bestehen aus deiner Sicht die Vorteile, wenn man in einem Graduiertenkolleg promoviert?

Charles: Eine Promotion in einem Graduiertenkolleg ermöglicht die enge Zusammenarbeit mit einer interdisziplinären Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Durch regelmäßiges Feedback kann eine kontinuierliche Verbesserung der eigenen Forschung sichergestellt werden. Ein tieferer Austausch und eine Vernetzung ist gegeben. Man lernt voneinander und miteinander. All dies ist selbstverständlich auch in anderen Promotionsformen möglich, ein Graduiertenkolleg muss aber gewissen Standards genügen. Das Promotionsvorhaben ist standardisierter.

Romy & Jonathan: Dieses Graduiertenkolleg umfasst Politikwissenschaftler:innen, Soziolog:innen, Philosoph:innen und Rechtswissenschaftler:innen. Inwieweit hilft dir diese Interdisziplinarität und Diversität bei deinem Promotionsvorhaben?

Charles: Mein Forschungsvorhaben ist vorwiegend dem Fachgebiet der Politikwissenschaft zuzuordnen. Doch die Politikwissenschaften sind ja per se interdisziplinär. Dementsprechend wichtig ist der Austausch mit Expert:innen anderer Fachbereiche. Gerade Themenstellungen mit gesamtgesellschaftlicher Relevanz profitieren von der im Graduiertenkolleg gegebenen wissenschaftlichen Breite. 

„Da es sich auch um eine vergleichende Fallstudie zwischen Frankreich und Deutschland handelt, verspreche ich mir von einem Aufenthalt in Frankreich ein tieferes Verständnis“

Romy & Jonathan: Wie wirkt sich die Kooperation zwischen der Goethe-Universität und der Technischen Universität Darmstadt auf deine Forschung/Promotion aus?

Charles: Diese Kooperation ermöglicht den Austausch mit unterschiedlichen Personen und Netzwerken und bietet durch die wechselnden Veranstaltungsorte an den beiden Universitäten die Möglichkeit, verschiedene akademische Umfelder kennenzulernen. Der semesterielle Tapetenwechsel sorgt für Frische.

Romy & Jonathan: Welchen Zugewinn für deine Promotion versprichst du dir von den internationalen Forschungsaufenthalten, die im Rahmen des Graduiertenkollegs angeboten werden?

Charles: Mein Forschungsthema ist international ausgerichtet. Da es sich auch um eine vergleichende Fallstudie zwischen Frankreich und Deutschland handelt, verspreche ich mir von einem Aufenthalt in Frankreich ein tieferes Verständnis der französischen Perspektive, die Möglichkeit zu weiterführendem akademischen Austausch. Der Zugang zu den dortigen Bibliotheken und Archiven, sowie die Möglichkeit vor Ort Interviews mit für mich relevanten Experten zu führen, ist sehr wichtig.

Romy & Jonathan: Wie werden deine nächsten Monate rund um deine Forschungsarbeit aussehen?

Charles: Nach einer theoretischen Auseinandersetzung mit meinen Forschungsfragen, beschäftige ich mich nun vorwiegend mit dem empirischen Teil meiner Arbeit. Hierfür werde ich Interviews führen, Archive konsultieren, ein Forschungspraktikum in Brüssel abhalten, und einen Forschungsaufenthalt in Frankreich realisieren.  

Romy & Jonathan: Herzlichen Dank für deine interessanten Antworten.

Das Interview wurde von Romy Knappe und Jonathan Mück im Februar 2025 geführt.

Romy Knappe ist Studentische Hilfskraft am DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ seit August 2023.

Jonathan Mück ist Studentische Hilfskraft am DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ seit Mai 2023.