Ein Interview mit der Postdoktorandin und Wissenschaftlichen Koordinatorin Julia Drubel
Julia Drubel ist seit April 2023 als Postdoktorandin im GRK beschäftigt. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in der Forschungsgruppe „Die Multiplizierung von Autoritäten in Global-Governance-Institutionen“ (Leitung PD Dr. Janne Mende). Sie hat zur (Nicht-)Verwirklichung des ILO-Zwangsarbeitsverbot in der globalisierten Wirtschaft am Fachbereich für Sozial- und Kulturwissenschaften der Justus-Liebig-Universität in Gießen promoviert und war u.a. Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Wenn Religionen miteinander sprechen: Der interreligiöse Dialog und die globale Norm der Religionsfreiheit“ (Leitung Prof. Dr. Helmut Breitmeier).
Die Frage nach der Legitimität und Effektivität der Standardisierung von Governance
Romy & Jonathan: Guten Tag, Julia. Du bist seit April 2023 Teil des Graduiertenkollegs. Was war deine Motivation, Teil des GRKs „Standards des Regierens“ zu sein?
Julia: Besonders motiviert hat mich die neue Perspektive, die das Forschungsprogramm zu „Standards des Regierens“ auf meine bisherige Forschung bietet, beispielsweise die Frage danach, wie komplexe normative Sachverhalte wie das Zwangsarbeits- und Sklavereiverbot, menschenwürdige Arbeit oder Nachhaltigkeitskonzeptionen in Standards übersetzt werden können. Aber auch die Aussicht ein gemeinsames Thema in einem interdisziplinären Verbund aus Doktorand*innen und PIs beforschen zu können, hat mich zur Bewerbung bewegt. Darüber hinaus wollte ich meine Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Doktorand*innen, die ich in verschiedenen Graduiertenzentren gesammelt habe, sehr gerne in ein Graduiertenkolleg einbringen.
Romy & Jonathan: Der Titel des Graduiertenkollegs ist weit gefasst. Was sind deine ersten Gedanken zu „Standards des Regierens“?

Julia: Mittlerweile arbeite ich schon eine ganze Weile im GRK, sodass ich diese Frage nicht mehr vollständig aus der Perspektive meiner Anfangszeit beantworten kann. Zu Beginn habe ich insbesondere Gedanken zu „Standards“ formuliert und erst später „Standards des Regierens“ als eine Forschungsperspektive zusammengeführt. Die Begründungslogiken von Standards als vermeintlich optimale Lösungen traten für mich schnell in den Vordergrund. Wenn ich jetzt an Standards des Regierens denke, sind es diese autoritativen Ansprüche von Standards und der Standardsetzer, bspw. durch (machtvolle) Verweise auf Optimierungslogiken, die mir besonders relevant erscheinen. Neben der Formulierung von Standards befasse ich mich auch mit deren „Diffusion“ bspw. entlang von Zulieferketten der globalen Forstwirtschaft. Dabei handelt es sich oft um globale Standards, die im globalen Norden formuliert werden und dann in lokale Kontexte, dort wo bspw. Holz geschlagen wird, übersetzt werden müssen. Damit verbunden stellen sich mir insbesondere Fragen einerseits nach der Legitimität und Effektivität der Standardisierung von Governance und zweitens, danach ob und inwiefern globale Standards in lokalen Kontexten kontestiert werden.
„Dazu gehören auch die Dokumentation und Aufarbeitung unserer inhaltlichen Arbeit“
Romy & Jonathan: Du bist als wissenschaftliche Koordinatorin am GRK zuständig. Was kann man sich darunter vorstellen?
Julia: Das bedeutet zunächst, dass ich bestimmte Veranstaltungen im Graduiertenkolleg wie unser Forschungskolloquium, das im Wechsel von den PIs organisiert wird, durchgehend inhaltlich begleite und in unterschiedlichem Maße mitgestalte. Außerdem bin ich in die Organisation und Planung inhaltlicher Veranstaltungen des Kollegs eingebunden. Dazu gehören auch die Dokumentation und Aufarbeitung unserer inhaltlichen Arbeit, bspw. in Form eines Literaturkompendiums und eines Logbuchs unserer Veranstaltungen, die Begleitung der projektübergreifenden Zusammenarbeit der Doktorand*innen in kleineren Arbeitsgruppen. Derzeit bemühe ich mich um weitere inhaltliche Angebote einer solchen Zusammenarbeit, bspw. mit Blick auf die Organisation eines Workshops und Vorschlägen zu gemeinsamen Publikationen.
Romy & Jonathan: Wie unterscheidet sich deine Rolle zu den PIs?
Julia: Am besten beschreiben ließe sich meine Position als eine Art Scharnierstelle zwischen beiden Ebenen, und dabei möchte ich auch gerne Ansprechperson für Doktorand*innen und interessierte externe Kolleg*innen sein. Es gibt bspw. die Möglichkeit sich als externes Mitglied in unserem Kolleg assoziieren zu lassen. Außerdem begleite ich Projekte in der Wissenschaftskommunikation bspw. durch einen Podcast, der sich derzeit im Aufbau befindet. Die Wissenschaftskommunikation wird von unserer Geschäftsführung, Timo Richter, im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit angestoßen und mithilfe unserer SHKs umgesetzt.
Romy & Jonathan: Worin liegt dein Forschungsinteresse und welches Forschungsvorhaben hast du im Rahmen des GRKs?
Julia: Im Rahmen des GRKs beforsche ich in erster Linie die EU-Waldgovernance und Nachhaltigkeit als einen Standard des Regierens, der verschiedene ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeitskonzeptionen berücksichtigt. Einen besonderen Schwerpunkt bildet derzeit das Setzen von Nachhaltigkeitsstandards durch Lieferkettengesetze, wie die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte. Ich beforsche konkret, wie darin normative Zusammenhänge durch Standards in Handlungsoptionen übersetzt werden und inwiefern Konzeptionen der „Due Diligence“ Formen standardisierten Regierens darstellen. Darüber hinaus befasse ich mich mit der Rezeption dieses Nachhaltigkeitsstandards in Abholzungsregionen in Ontario, Kanada. Meine Forschung zur Internationalen Arbeitsorganisation und ihrer Praktiken der Standardsetzung und des Benchmarkings von Staaten im Rahmen der Governance von menschenwürdiger Arbeit ist ein weiteres Projekt, das ich im Rahmen des GRKs verfolge.
„Mit der Bearbeitung dieser Fragen möchte ich dazu beitragen, dass wir die Governance von Waldökosystemen und deren (Über)Nutzung besser verstehen.“
Romy & Jonathan: Wie hat sich deine Forschungsperspektive verändert, seitdem du Teil von „Standards des Regierens“ bist?
Julia: Meine Forschungsinteressen und -schwerpunkte haben sich empirisch und theoretisch erweitert, insbesondere rücken derzeit sozial-relationale Ansätze der Internationalen Beziehungen in den Vordergrund, bspw. in der Analyse von Benchmarking-Praktiken der ILO. Damit schließe ich an meine bisherige Forschung zur Regulierung von Staaten und Unternehmen durch internationale Sozialgesetzgebung an. Zuvor habe ich insbesondere Ansätze der kritischen Normenforschung zur Beforschung der globalen politischen Ökonomie von Zwangsarbeit, moderner Sklaverei und der Umstrittenheit der Norm für menschenwürdige Arbeit herangezogen. Meine Interessen umfassen weiterhin die Global-Governance-Forschung mit einem neuen empirischen Fokus auf Nachhaltigkeitsstandards in der Waldpolitik und in Lieferkettengesetzen, dabei stehen Fragen nach der Effektivität und Autorität solcher Nachhaltigkeitsstandards im Vordergrund.
Romy & Jonathan: Vielen Dank für den Einblick in dein Vorhaben. Inwieweit ist dein Forschungsvorhaben von gesellschaftlicher Relevanz?
Julia: Wälder sind komplexe Ökosysteme und weit mehr als nur natürliche Ressourcen – sie erfüllen essenzielle ökologische, ökonomische, soziale und kulturelle Funktionen, werden jedoch in globalen Wertschöpfungsnetzwerken zunehmend übernutzt. Europa, und insbesondere Deutschland, trägt durch den Import entwaldungsrelevanter Konsumgüter wie Palmöl, Soja oder Rindfleisch und die im Zuge bioökonomischer Transformation gestiegene Nachfrage von Rohstoffen und holzbasierten Biomasseprodukten erheblich zur globalen Entwaldung bei, die größtenteils außerhalb der EU stattfindet, während innerhalb der EU die Waldflächen zunehmen. Gleichzeitig werden Bedrohungen für die Nachhaltigkeit, die mit wachsender Ungleichheit einhergehen, im Kontext globaler Lieferketten verstärkt. Neu gesetzte Standards der EU sollen die Ressourcennutzung in Erzeugerländern im globalen Norden und Süden regulieren, ohne den Binnenmarkt oder Zulieferketten zu gefährden, indem sie das Problem des Überkonsums unbearbeitet lassen und stattdessen die „schwache Regierungsführung“ in den Erzeugerländern als Ursachen der Entwaldung bestimmen. Damit stellen sich nicht nur Fragen nach effektiven Regulierungen (Effektivität) zum Erhalt unseres Planeten und Realisierung menschenwürdiger Arbeit, sondern vielmehr auch danach, wer auf Grundlage welcher normativen Überlegungen die Ziele bestimmt, deren effektive Verwirklichung dann gemessen wird (Legititmität). Und letztlich: Welcher normativen Ziel- und Lösungsdefinition Vorrang gegenüber anderen Ansprüchen eingeräumt wird, gerade auch mit Blick auf die hohe Umstrittenheit, bspw. der EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte (Autorität). Mit der Bearbeitung dieser Fragen möchte ich dazu beitragen, dass wir die Governance von Waldökosystemen und deren (Über)Nutzung besser verstehen.
„Eigene Fragestellungen, Methoden und Erkenntnisse werden so auch immer wieder kritisch hinterfragt, und zwar aus Perspektiven, die einem selbst so nicht zugänglich sind.“
Romy & Jonathan: Dieses Graduiertenkolleg umfasst Politikwissenschaftler:innen, Soziolog:innen, Philosoph:innen und Rechtswissenschaftler:innen. Inwieweit hilft dir diese Interdisziplinarität und Diversität bei deiner Forschungsarbeit?
Julia: Ich würde sagen, dass das interdisziplinäre Arbeiten und insbesondere der Austausch über die Disziplinen hinweg, zunächst eine unheimlich gute Übung darstellt, fachübergreifend zu denken und die eigene disziplinäre Perspektive sichtbar zu machen. Für meine eigene Forschung empfinde ich die Rückmeldungen anderer Disziplinen als sehr hilfreich, um Stärken und Schwächen der eigenen Arbeit besser zu reflektieren. Eigene Fragestellungen, Methoden und Erkenntnisse werden so auch immer wieder kritisch hinterfragt, und zwar aus Perspektiven, die einem selbst so nicht zugänglich sind. Für meine eigene Arbeit hat mir dies insbesondere bspw. bei der Frage nach dem Verhältnis von Standards und Gesetz geholfen. Der interdisziplinäre Austausch kann dabei auch eine Herausforderung sein, ich erlebe diese aber als sehr produktiv.
Romy & Jonathan: Wie werden deine nächsten Monate im Rahmen des GRKs aussehen?
Julia: Ich plane derzeit weitere Interviews mit EU-Expert*innen aus EU-Kommission und EU-Parlament, und mit Forstverwaltungen und nachhaltigkeitszertifizierten Forstunternehmen in Kanada. Außerdem bestimmen das Onboarding der neuen Doktorand*innen ab April 2025, das kommende Retreat im Herbst derzeit meine Arbeit sowie die GRK-Konferenz im Januar 2026 derzeit meine Arbeit.
Romy & Jonathan: Herzlichen Dank für deine interessanten Antworten.
Das Interview wurde von Romy Knappe und Jonathan Mück im Februar 2025 geführt.

Romy Knappe ist Studentische Hilfskraft am DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ seit August 2023.

Jonathan Mück ist Studentische Hilfskraft am DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ seit Mai 2023.