Ein Interview mit der Kollegiatin Miriam Bickelhaupt
Die Frage nach der normativen Verbindlichkeit von Standards
Romy & Jonathan: Guten Tag, Miriam. Du bist seit Juli 2024 Teil des Graduiertenkollegs. Was war deine Motivation dich für das GRK „Standards des Regierens“ zu bewerben?
Miriam: Die Idee, dem Studium eine Promotion anzuschließen, kam schon vor Abschluss meines ersten juristischen Staatsexamens. Die Betreuerin meiner Promotion, Frau Prof. Sacksofsky, hat mich sodann auf die Möglichkeit einer Bewerbung für das Graduiertenkolleg hingewiesen. Wenn ich ehrlich bin, war ich zunächst skeptisch, da ich mit dem Titel „Standards des Regierens“ auf den ersten Blick nicht so viel anfangen konnte. Gerade das hat aber auch den Reiz ausgemacht, mich schließlich zu bewerben. Hinzu kam die Perspektive einer engen Zusammenarbeit mit Doktorand*innen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen.
Romy & Jonathan: Der Titel des Graduiertenkollegs ist weit gefasst. Was sind deine ersten Gedanken zu „Standards des Regierens“?

Miriam: Als Juristin stellt sich für mich direkt die Frage nach der normativen Verbindlichkeit von Standards bzw. im Allgemeinen nach ihrer (rechtlichen) Natur. Interessant sind dabei nicht nur die Aushandlungsprozesse und die Kodifizierung von Standards, sondern eben auch ihre Durchsetzung und Kontrolle. Speziell mit Blick auf mein eigenes Forschungsprojekt, in dem ich mich mit Geschlechtergleichstellung befasse, begegne ich dem Standardbegriff durchaus auch mit Skepsis. Begreift man den Prozess des Standardisierens als eine Art der Vereinheitlichung, läuft man Gefahr, hierbei an Diversität einzubüßen.
Romy & Jonathan: Worin liegt dein Forschungsinteresse und in welche thematische Richtung führt deine Promotionsarbeit?
Miriam: Mein Forschungsinteresse liegt im Bereich der Geschlechtergleichstellung, wobei mich hier insbesondere die Europäische Union als Standardsetzerin interessiert. Durch den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung ist die Europäische Union in ihrer Rechtsetzungsbefugnis auch im Bereich der Geschlechtergleichstellung auf die in den EU-Verträgen festgelegten Kompetenzbereiche beschränkt. Nichtsdestotrotz bemühen sich die Organe der Europäischen Union, u.a. die Kommission, Gleichstellungsfragen auf umfassendere Weise zu begegnen, etwa durch Strategien, die sich gerade nicht auf Rechtsetzung beschränken, sondern durch weitere, nicht rechtlich verbindlich Instrumente ergänzt werden. Gerade letztere kann man aber mit Blick auf ein mögliches demokratisches Defizit hinterfragen, wenn Bereiche betroffen sind, für welche die Europäische Union gerade keine Kompetenz gemäß der EU-Verträge hat. Diesen „Instrumentenkasten“ mitsamt den Durchsetzungs- und Kontrollmechanismen in den Blick zu nehmen, ist für mich als Juristin daher sehr spannend.
„Auch wenn in zentralen Rechtstexten die Gleichstellung von Männern und Frauen kodifiziert ist, ist diese bei weitem nicht erreicht.“
Romy & Jonathan: Vielen Dank für den Einblick in dein Vorhaben. Inwieweit ist dein Forschungsvorhaben von gesellschaftlicher Relevanz?
Miriam: Auch wenn in zentralen Rechtstexten wie dem Grundgesetz oder den EU-Verträgen die Gleichstellung von Männern und Frauen kodifiziert ist, ist diese bei weitem nicht erreicht. Hinzu kommt, dass die Perspektive, Geschlechtergleichstellung nicht auf die „traditionelle“ binäre Geschlechterordnung zu beschränken, häufig nicht hinreichend mitgedacht wird. Gleichstellung ist daher nicht nur weiterhin förderungsbedürftig, sie ist – und das sehen wir aktuell wieder in vielen Teilen der Welt – nicht irreversibel.
Romy & Jonathan: Hat sich dein Promotionsvorhaben verändert oder konkretisiert, seitdem du Teil von „Standards des Regierens“ bist?
Miriam: Da ich zuvor keine Berührungspunkte mit dem Standardbegriff und der Governance-Forschung hatte, hat sich das Promotionsvorhaben natürlich weiter entwickelt und ich habe nicht den Eindruck, dass dieser Prozess schon abgeschlossen ist. Insbesondere helfen hier die kontinuierlichen Diskussionen im Graduiertenkolleg, ein tieferes Verständnis zu diesen Begriffen zu entwickeln. Das wirkt sich natürlich auf die eigene Arbeit aus, es kommen neue Ideen dazu, andere verwirft man und reflektiert immer wieder die eigene inhaltliche Einbettung der Arbeit in diesem inhaltlichen Rahmen.
„Sich nicht nur in seiner eigenen fachspezifischen „Bubble“ zu bewegen, sondern sich anderen Disziplinen zu öffnen“
Romy & Jonathan: Eine Promotion in einem Graduiertenkolleg unterscheidet sich von anderen Promotionsformen. Worin bestehen aus deiner Sicht die Vorteile, wenn man in einem Graduiertenkolleg promoviert?
Miriam: Was ich an der Promotion in einem Graduiertenkolleg besonders schätze, ist die feste Gruppe und der gemeinsame inhaltliche Rahmen. Man macht sich über zentrale inhaltliche Fragen nicht nur allein Gedanken, sondern teilt diese gemeinsam mit anderen und entwickelt sie weiter – auch wenn sich die individuellen Promotionsvorhaben natürlich stark voneinander unterscheiden. Neben dem gemeinsamen inhaltlichen Rahmen hilft auch die Struktur eines Graduiertenkollegs, beispielsweise die regelmäßige Präsentation der eigenen Forschungsarbeit mit anschließender Diskussion in den Forschungskolloquien.
Romy & Jonathan: Dieses Graduiertenkolleg umfasst Politikwissenschaftler:innen, Soziolog:innen, Philosoph:innen und Rechtswissenschaftler:innen. Inwieweit hilft dir diese Interdisziplinarität und Diversität bei deinem Promotionsvorhaben?
Miriam: Meine eigene Arbeit ist im Schwerpunkt zwar eine juristische, jedoch natürlich mit Bezügen zu anderen Disziplinen. Gerade für diese interdisziplinären Bezüge ist es sehr gewinnbringend, die eigene Arbeit regelmäßig mit Nicht-Jurist*innen diskutieren zu können, die weitere Perspektiven und Gedanken aufzeigen. Insgesamt tut es glaube ich immer gut, sich nicht nur in seiner eigenen fachspezifischen „Bubble“ zu bewegen, sondern sich anderen Disziplinen zu öffnen – dafür ist das Graduiertenkolleg natürlich prädestiniert.
Romy & Jonathan: Wie wirkt sich die Kooperation zwischen der Goethe-Universität und der Technischen Universität Darmstadt auf deine Forschung/Promotion aus?
Miriam: Da es an der TU Darmstadt keine juristische Fakultät gibt, wirkt sich die Kooperation mit Blick auf die Fachrichtung, aus der ich komme, natürlich weniger aus als dies etwa bei den Politikwissenschaftler*innen der Fall sein dürfte. Nichtsdestotrotz liegt in der Kooperation aus meiner Sicht ein erheblicher Gewinn, da die Zusammenarbeit von verschiedenen Instituten der beiden Universitäten die Diversität und Interdisziplinarität der Forschungsperspektiven nochmal verstärkt.
„Neue Impulse zu gewinnen, die auch durch unterschiedliche Rechtskulturen geprägt sein können.“
Romy & Jonathan: Welchen Zugewinn für deine Promotion versprichst du dir von den internationalen Forschungsaufenthalten, die im Rahmen des Graduiertenkollegs angeboten werden?
Miriam: Ehrlich gesagt bin ich aber momentan von der Planung eines möglichen Forschungsaufenthalts noch ein gutes Stück entfernt, sodass ich mir hierzu noch keine tiefergehenden Gedanken gemacht habe. Gleichwohl sind solche Forschungsaufenthalte eine hervorragende Möglichkeit, neue Wissenschaftler*innen kennenzulernen, sich zu vernetzen und neue Impulse zu gewinnen, die auch durch unterschiedliche Rechtskulturen geprägt sein können.
Romy & Jonathan: Wie werden deine nächsten Monate rund um deine Forschungsarbeit aussehen?
Miriam: Da ich erst letztes Jahr mit meinem Promotionsvorhaben begonnen habe, wird in den nächsten Monaten noch die detaillierte konzeptionelle Weiterentwicklung im Vordergrund stehen, darüber hinaus aber auch die inhaltliche Ausarbeitung erster Teile der Arbeit. Hinzu kommt die Zusammenarbeit in einer Working Group mit einigen meiner Kolleg*innen sowie ein vertiefter Austausch über den Standardbegriff mit den Philosoph*innen aus dem Graduiertenkolleg. Besonders freue ich mich auch auf die neuen Kollegiat*innen, die im Frühjahr dazukommen, insbesondere natürlich auf die weitere Juristin.
Romy & Jonathan: Herzlichen Dank für deine interessanten Antworten.
Das Interview wurde von Romy Knappe und Jonathan Mück im Februar 2025 geführt.

Romy Knappe ist Studentische Hilfskraft am DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ seit August 2023.

Jonathan Mück ist Studentische Hilfskraft am DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ seit Mai 2023.