Ein Interview mit der Kollegiatin Lena Gigerl

Internationale Ausrichtung und Interdisziplinarität

Romy & Jonathan: Guten Tag, Lena. Du bist seit April 2023 Teil des Graduiertenkollegs. Was war deine Motivation dich für das GRK „Standards des Regierens“ zu bewerben.

Lena: Mich haben das Thema und die forschungsleitenden Fragen des GRKs sehr neugierig gemacht. Überzeugt hat mich, neben der internationalen Ausrichtung und Interdisziplinarität des GRKs, aber vor allem die Möglichkeit, als Teil eines Teams an Doktorand:innen promovieren zu können. Der vorgesehene Forschungsaufenthalt hat mich ebenfalls sehr angesprochen. Auch, dass die eigene Qualifizierung im Rahmen der Promotion wirklich im Vordergrund stehen soll, hat dieses GRK aus meiner Sicht von anderen Promotionsstellen abgehoben.

„Standards in diesem Bereich werden oftmals im Globalen Norden ausgehandelt, gesetzt und verbreitet“

Romy & Jonathan: Der Titel des Graduiertenkollegs ist weit gefasst. Was sind deine ersten Gedanken zu „Standards des Regierens“?

Lena Gigerl ist 29 Jahre alt und seit April 2023 Kollegiatin im DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“. Zuvor absolvierte sie ihren Master in Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Lena: Meine Antwort ist jetzt natürlich von unseren Diskussionen im GRK, aber vor allem auch von meinem eigenen Promotionsvorhaben beeinflusst. In diesem Zusammenhang beschäftige ich mich vor allem mit der extraterritorialen Dimension gesetzter Standards. Auf einer abstrakteren Ebene ist aus meiner Sicht beispielsweise zu hinterfragen, inwieweit das Setzen und Verbreiten von Standards möglicherweise mit Universalisierungsansprüchen einhergeht. Die normativen Implikationen von letzterem werden vor allem von Kolleg:innen aus der Politischen Theorie beleuchtet, auch wenn uns diese und ähnliche Fragen natürlich alle beschäftigen.

Romy & Jonathan: Worin liegt dein Forschungsinteresse und in welche thematische Richtung führt deine Promotionsarbeit?

Lena: Thematisch ist meine Arbeit im Bereich der Sustainability Governance angesiedelt. Konkret beschäftige ich mich mit der Regulierung von Lieferketten, die darauf abzielt, negative Externalitäten von Unternehmenspraktiken und Produktionsweisen – in Form von Menschenrechtsverletzungen oder negativen Umweltauswirkungen – durch sogenannte Sorgfaltspflichten zu adressieren. Standards in diesem Bereich werden oftmals im Globalen Norden – etwa in bzw. von der EU – ausgehandelt, gesetzt und verbreitet. Zugleich ist ein erklärtes Ziel dieser Standardisierung, transnationale Unternehmen auch für ihre (nicht nachhaltigen) Produktionsweisen in Ländern des Globalen Südens verstärkt in Verantwortung zu nehmen. Im Spannungsfeld dieser extraterritorialen Dimension gesetzter Standards liegt der Fokus meiner Arbeit.

„Es betrifft uns meiner Meinung nach alle, wie mit diesen Interessenskonstellationen umgegangen wird.“

Romy & Jonathan: Vielen Dank für den Einblick in dein Vorhaben. Inwieweit ist dein Forschungsvorhaben von gesellschaftlicher Relevanz?

Lena: Die gesellschaftliche Relevanz meines Forschungsvorhabens lässt sich unter anderem mit der Klimakrise begründen: die Datenlage dazu macht unmissverständlich klar, dass akuter Handlungsbedarf besteht, wenn das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5° zu beschränken, erreicht werden soll. Die Frage wie sich dieses Ziel erreichen lässt, ist jedoch alles andere als unumstritten. Im Fall der EU-Lieferkettenregulierung zeigt sich das unter anderem in konfligierenden Forderungen von Bürger:innen, Unternehmen und Parteien, in divergierenden Positionen von EU-Mitgliedstaaten, aber auch in wissenschaftlichen Befunden zu unbeabsichtigten Folgen von früheren Regulierungsversuchen. Es betrifft uns meiner Meinung nach alle, wie mit diesen Interessenskonstellationen umgegangen wird.

Romy & Jonathan: Hat sich dein Promotionsvorhaben verändert oder konkretisiert, seitdem du Teil von „Standards des Regierens“ bist?

Lena: Ja, und das wird es – unter anderem durch die aktuellen Entwicklungen hinsichtlich der vorgeschlagenen EU-Lieferkettenrichtlinie – wohl auch weiterhin. Aber auch abgesehen der EU-Ebene tut sich viel, etwa durch nationale Gesetzesvorhaben in vielen Ländern, oder durch den UN Treaty Prozess, in dessen Rahmen gerade über ein bindendes Abkommen zur menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen verhandelt wird. Das spiegelt sich auch in der wissenschaftlichen Literatur zum Thema wider: das Forschungsfeld zur sogenannten mandatory due diligence ist erst im Entstehen, dementsprechend explorativ ist auch mein Promotionsvorhaben. Darüber hinaus arbeiten wir im GRK auch kontinuierlich an der weiteren Konkretisierung von unseren Standards- und Standardisierungsverständnissen.

„Zudem schlägt das gemeinsame Thema „Standards des Regierens“ eine Brücke“

Romy & Jonathan: Eine Promotion in einem Graduiertenkolleg unterscheidet sich von anderen Promotionsformen. Worin bestehen aus deiner Sicht die Vorteile, wenn man in einem Graduiertenkolleg promoviert?

Lena: Darin, Teil eines Teams zu sein– ich schätze die Zusammenarbeit und die Gemeinschaft zwischen bzw. unter uns Doktorand:innen wirklich sehr. Zudem schlägt das gemeinsame Thema „Standards des Regierens“ eine Brücke, durch die interdisziplinärer Austausch möglich wird. Gefördert wird dieser unter anderem durch die Zusammenarbeit in Kleingruppen, aber auch durch die gemeinsamen Veranstaltungen. Durch das Kolloquium bekommt man zudem auch Feedback von Personen, mit denen man ohne den gemeinsamen Rahmen des GRKs wohl nicht in Kontakt gekommen wäre.

Romy & Jonathan: Dieses Graduiertenkolleg umfasst Politikwissenschaftler:innen, Soziolog:innen, Philosoph:innen und Rechtswissenschaftler:innen. Inwieweit hilft dir diese Interdisziplinarität und Diversität bei deinem Promotionsvorhaben?

Lena: Die Interdisziplinarität des GRKs hilft meiner Meinung nach sehr, da man durch den Austausch mit Kolleg:innen nicht nur Einblicke in deren Fachrichtungen, sondern auch neue Perspektiven auf das eigene Promotionsvorhaben – und letztlich auch auf die eigene Disziplin – gewinnt. So regt die interdisziplinäre Zusammenarbeit etwa dazu an, sich anders mit den Terminologien des eigenen Fachs auseinanderzusetzen: was beispielsweise in der Politikwissenschaft unter dem Begriff „prozedural“ verstanden wird, unterscheidet sich in der Bedeutung doch deutlich vom Begriffsverständnis der Rechtswissenschaften, wie ich lernen durfte– der Austausch darüber hilft letztlich also zum Beispiel auch dabei, eigene Begriffe zu schärfen. Zudem erhöht die Interdisziplinarität auch den Anspruch, das eigene Thema zugänglich zu vermitteln; und das unterstützt meiner Meinung nach dabei, das eigene Forschungsfeld auch selbst nochmal anders zu verstehen.

Romy & Jonathan: Wie wirkt sich die Kooperation zwischen der Goethe-Universität und der Technischen Universität Darmstadt auf deine Forschung/Promotion aus?

Lena: Die Kooperation zwischen den beiden Unis bietet eine Schnittstelle für Internationale Beziehungen und Internationale Politische Ökonomie. Außerdem erleichtert sie es natürlich, mit Leuten in Kontakt zu kommen, die für das eigene Vorhaben interessant sind. Zudem werden die Veranstaltungen des GRKs ja auch im Wechsel an den jeweiligen Universitäten abgehalten.

Neue Impulse durch internationale Forschungsaufenthalte

Romy & Jonathan: Welchen Zugewinn für deine Promotion versprichst du dir von den internationalen Forschungsaufenthalten, die im Rahmen des Graduiertenkollegs angeboten werden?

Lena: Neben den Möglichkeiten, die ein internationaler Forschungsaufenthalt zur Datenerhebung bietet, erhoffe ich mir dadurch auch neue Impulse für bzw. andere Perspektiven auf die eigene Arbeit zu bekommen. Darüber hinaus bietet ein Forschungsaufenthalt durch die Anbindung an eine andere Universität auch die Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen. Zudem ist es immer interessant, einen Einblick in die Abläufe einer anderen Uni zu gewinnen.

Romy & Jonathan: Wie werden deine nächsten Monate rund um deine Forschungsarbeit aussehen?

Lena: Aktuell arbeiten wir gerade in kleinen Arbeitsgruppen an gemeinsamen Begriffsbestimmungen. Diese Arbeit wird uns sicher auch noch die nächsten Monate begleiten. Außerdem werde ich in den nächsten Monaten natürlich weiter an der Konkretisierung meines Standards- und Standardisierungsverständnisses arbeiten. Ende Mai ist dann auch ein Retreat des GRKs zu unter anderem diesem Thema geplant. Und der Forschungsaufenthalt ist früher oder später natürlich auch zu organisieren.

Romy & Jonathan: Herzlichen Dank für deine interessanten Antworten.

Das Interview wurde von Romy Knappe und Jonathan Mück im Mai 2024 geführt.

Romy Knappe ist Studentische Hilfskraft am DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ seit August 2023.

Jonathan Mück ist Studentische Hilfskraft am DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ seit Mai 2023.