Ein Interview mit dem Kollegiaten Sebastian Jaschke

Ein sehr konstruktiver Prozess

Romy & Jonathan: Guten Tag, Sebastian. Du bist seit April 2023 Teil des Graduiertenkollegs. Was war deine Motivation dich für das GRK „Standards des Regierens“ zu bewerben.

Sebastian: Zum einen fand ich das Thema sehr interessant – wir finden uns tagtäglich in Situationen wieder, in denen wir von Standards umgeben sind: Schulsystem, Mülltrennung, Pfandsysteme, digitale Dateiformate, Währungsunion(en)… unser Leben ist extrem durchstandardisiert, mehr als das irgendeiner Generation vor uns. Und trotzdem machen wir uns selten Gedanken darüber, wie es zu diesen Standards kommt, und wie sie uns prägen. Zum Anderen fand ich die Idee einer strukturierten Promotion sehr vielversprechend, da ich den Austausch zu Forschungsprojekten schon in Kolloquien während meines Studiums sehr zu schätzen gelernt hatte – kritische Stimmen und Nachfragen, an die man selber gar nicht gedacht hatte, können da ein sehr konstruktiver Prozess sein. Und im GRK habe ich mittlerweile auch dieselbe Erfahrung gemacht.

„Standards schaffen Sicherheit, aber auch eine starke Rigidität“

Romy & Jonathan: Der Titel des Graduiertenkollegs ist weit gefasst. Was sind deine ersten Gedanken zu „Standards des Regierens“?

Sebastian Jaschke ist 27 Jahre alt und seit April 2023 Kollegiat im DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“. Zuvor absolvierte er seinen Master in Philosophie an der TU Darmstadt.

Sebastian: Einmal natürlich die geographische Vereinheitlichung und Interkonnektivität von Regierungshandeln, Vorgaben, Gesetzen etc. Also internationale Organisationen, wie die UN, die EU, NATO, der Internationale Währungsfond, aber auch NGOs. Dann natürlich die Problematik, dass Standards eine enorme Pfadabhängigkeit aufweisen, die zum Beispiel in der digitalen Transformation zu Problemen führen kann. Als Philosoph interessiert mich aber eigentlich eher der Aspekt der Verselbstständigung von Standards, der ‚Entmenschlichung‘ der Bürokratie und was das mit Menschen, die sich damit in Kontakt kommen, macht. Standards schaffen Sicherheit, aber auch eine starke Rigidität, was sich auf der ‚Nutzer’seite oftmals so darstellt, als ob die Standards einfach nur da sind, um Standards zu haben, nicht für die Menschen, die sich in den Systemen bewegen, in denen diese bestimmten Standards greifen.

Romy & Jonathan: Worin liegt dein Forschungsinteresse und in welche thematische Richtung führt deine Promotionsarbeit?

Sebastian: Ich beschäftige mich mit Verschwörungstheorien und der Frage, wie, gerade in einem digitalen Kontext, gegen deren Verbreitung vorgegangen und aufgeklärt wird. Und was wir beobachten ist ein großes Gefühl der Hilflosigkeit im Umgang mit Verschwörungstheoretiker:innen. Wie vermittle ich Menschen wissenschaftliche Erkenntnisse – zum Thema Impfschutz und -risiken, Klimawandel, demokratischer Legitimation etc. – die offenbar den Boden der Tatsachen so vollkommen verlassen haben? Es gibt Bemühungen, hier ‚Leitfäden‘ zu gestalten von der Bundes- und den Landeszentralen für politische Bildung zum Beispiel. Es gibt Fact-Checking Websites, die Aussagen von Politiker:innen, Zeitungsartikel oder Videos, die sich auf Social Media verbreiten unter die Lupe nehmen und auf ihre Richtigkeit prüfen. Wir haben also hier eine große Bemühung Standards im Umgang mit Verschwörungstheorien zu schaffen. Ob diese Standards Wirkung zeigen, ist eines meiner Forschungsinteressen.

„Verschwörungstheorien haben natürlich auch durch die zunehmend digitale Kommunikation ein ganz anderes Level der Geschwindigkeit erreicht.“

Romy & Jonathan: Vielen Dank für den Einblick in dein Vorhaben. Inwieweit ist dein Forschungsvorhaben von gesellschaftlicher Relevanz?

SebastianVerschwörungstheorien sind ein sehr altes Phänomen, aber eines, dass einer breiteren Öffentlichkeit – das höre ich immer wieder, wenn ich mich mit Menschen außerhalb des akademischen Betriebes darüber unterhalte – erst wirklich seit der CoViD-Pandemie ins Augenmerk gerückt ist. Sie haben natürlich auch durch die zunehmend digitale Kommunikation ein ganz anderes Level der Geschwindigkeit erreicht. Widerstand gegen Standardisierung ist ein ebenso aktuelles Thema: Im letzten Jahrzehnt haben wir eine wachsende Unmutsbewegung erlebt, die sich gegen Vereinheitlichung, gegen transnationales Regieren richtet. Der Euroskeptizismus ist auf dem Vormarsch, es gibt in verschiedenen europäischen Ländern erstarkende Separatistenbewegungen, populistische Stimmen sprechen vom ‚Deep State‘ und sprechen unserem Staat seinen demokratischen Charakter ab. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung und insofern verdient das Thema einen grundlegenden, auch theoretischen Blick.

Romy & Jonathan: Hat sich dein Promotionsvorhaben verändert oder konkretisiert, seitdem du Teil von „Standards des Regierens“ bist?

Sebastian: Nicht wirklich. Ich habe einige Anregungen von Kollegiat:innen und den PIs mitnehmen können, aber an der Struktur meines Vorhabens hat sich so weit nichts geändert.

„Da ist oft ein Umdenken gefragt, es regt aber zum Nachdenken an.“

Romy & Jonathan: Eine Promotion in einem Graduiertenkolleg unterscheidet sich von anderen Promotionsformen. Worin bestehen aus deiner Sicht die Vorteile, wenn man in einem Graduiertenkolleg promoviert?

SebastianDurch die Struktur der rotierenden Oberseminare werden wir mit anderen Fachkulturen- und Literatur konfrontiert. Da ist oft ein Umdenken gefragt, es regt aber zum Nachdenken an. Die Konferenzen und Gastvorträge bringen uns in Kontakt mit Wissenschaftler:innen aus sehr vielfältigen Bereichen. Unter den Kollegiat:innen haben sich mittlerweile Working Groups gebildet, das war für mein Verständnis von Standards sehr produktiv. Man lernt aber auch früh, eigenverantwortlich Veranstaltungen zu planen und wird so praxisnah an den akademischen Betrieb herangeführt.

Romy & Jonathan: Dieses Graduiertenkolleg umfasst Politikwissenschaftler:innen, Soziolog:innen, Philosoph:innen und Rechtswissenschaftler:innen. Inwieweit hilft dir diese Interdisziplinarität und Diversität bei deinem Promotionsvorhaben?

Sebastian: Wie gesagt, mit anderen Fachkulturen konfrontiert zu werden, hilft dabei, eine neue Perspektive einzunehmen. Das kann auch im negativen Sinne hilfreich sein, das eigene Thema noch mal genauer einzugrenzen. Aber oft ist es einfach sehr hilfreich, einen Draht zu Forschenden zu haben, die man ansprechen kann, wenn man auf einen gewissen Aspekt seiner Forschung noch mal einen anderen Blick haben möchte.

Romy & Jonathan: Wie wirkt sich die Kooperation zwischen der Goethe-Universität und der Technischen Universität Darmstadt auf deine Forschung/Promotion aus?

Sebastian: Größtenteils so, dass ich mehr Zeit in Zügen verbringe, als ich sonst würde. Aber es ist auch interessant, den zwei Universitäten etwas näher kennenzulernen. Ich habe ja auch meinen Bachelor und Master schon an der TU gemacht und insofern kaum andere Unis kennengelernt, da ist meine Erfahrung jetzt etwas dynamischer geworden.

„Wie werden in anderen Sprachen die Begriffe ‚Verschwörung‘, ‚Verschwörungstheorie‘, ‚Standards‘ etc. ausgelegt? „

Romy & Jonathan: Welchen Zugewinn für deine Promotion versprichst du dir von den internationalen Forschungsaufenthalten, die im Rahmen des Graduiertenkollegs angeboten werden?

SebastianIch würde mir erhoffen, mehr darüber zu lernen, wie das Thema der Verschwörungstheorien in anderen Ländern wahrgenommen wird, die ihre eigene Geschichte mit dem Thema haben und wie dort damit umgegangen wird. Natürlich ist dabei auch das Thema der Sprache sehr wichtig: wie werden in anderen Sprachen die Begriffe ‚Verschwörung‘, ‚Verschwörungstheorie‘, ‚Standards‘ etc. ausgelegt? Gerade, da wir alle an transnationalen Themen arbeiten ist ein Forschungsaufenthalt im Ausland etwas, dass uns auch inhaltlich viel geben kann. Aber auch im Hinblick auf das Thema ‚Standards des Regierens‘ kann uns eine solche Erfahrung, denke ich, viel darüber beibringen, wie (z.B. im akademischen Betrieb, aber auch in Alltagssituationen) in anderen Ländern Standards durchgesetzt werden, die wir auch aus Deutschland kennen, die dann aber vielleicht doch länderspezifisch in ihrer Umsetzung etwas abweichen.

Romy & Jonathan: Wie werden deine nächsten Monate rund um deine Forschungsarbeit aussehen?

Sebastian: In unserem Retreat haben sich einige neue Anregungen ergeben: zum einen wird die Arbeit in unserer Working Group zur Digitalisierung weitergehen, wo wir theoretische Grundlagen zum Verständnis von digitalen Standards erarbeiten. Zum anderen hat sich ein sehr interessanter Austausch mit den Juristinnen im Team ergeben, den ich gerne fortführen würde. In den nächsten paar Monaten werde ich meinen Auslandsaufenthalt planen, den ich hoffe, im Sommer 2025 anzutreten. Im September möchte ich an einigen Konferenzen teilnehmen, u.A. am Kongress der DGPhil, die ganz im Zeichen der Digitalität steht.

Romy & Jonathan: Herzlichen Dank für deine interessanten Antworten.

Das Interview wurde von Romy Knappe und Jonathan Mück im Juli 2024 geführt.

Romy Knappe ist Studentische Hilfskraft am DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ seit August 2023.

Jonathan Mück ist Studentische Hilfskraft am DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ seit Mai 2023.