Ein Interview mit dem Kollegiaten David Hengsbach

Standardisierung von Münzen und Geld

Romy & Jonathan: Guten Tag, David. Du bist seit April 2023 Teil des Graduiertenkollegs. Was war deine Motivation dich für das GRK „Standards des Regierens“ zu bewerben.

David: Die interdisziplinäre Aufstellung des Graduiertenkollegs und die Anschlussfähigkeit des Schwerpunktes an die wirtschafts- und finanzsoziologische Forschung haben mich bei der Bewerbung besonders angesprochen. Standardisierung hat spätestens mit der Globalisierung in der Wirtschafts- und Finanzwelt stark an Bedeutung gewonnen und nimmt in der aktuellen soziologischen und politökonomischen Forschung einen festen Platz ein. Im Rahmen meines Studiums hatte ich mich insbesondere mit der (historischen) Standardisierung von Münzen und Geld beschäftigt, so dass mir eine Fortführung dieser Perspektive im Hinblick auf die Digitalisierung des Geldes im Rahmen des Kollegs sehr interessant und vielversprechend erschien.

„Standardisierung und Regelsetzung nehmen im Projekt der EZB einen hohen Stellenwert ein“

Romy & Jonathan: Der Titel des Graduiertenkollegs ist weit gefasst. Was sind deine ersten Gedanken zu „Standards des Regierens“?

David Hengsbach ist 32 Jahre alt und seit April 2023 Kollegiat im DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“. Zuvor absolvierte er seinen Master in Wirtschafts-und Finanzsoziologie an der Goethe-Universität Frankfurt.

David: Meine ersten Assoziationen betreffen die Veränderungen des Regierens in modernen Gesellschaften und die Frage, inwieweit Standards neue Formen der Koordination und Steuerung beinhalten. Standards zielen darauf ab, soziale und technische Praktiken zu vereinheitlichen. Insbesondere weist der Titel des GRK darauf hin, dass Regieren nicht nur zunehmend durch und mittels der Setzung von Standards erfolgt, sondern selbst Gegenstand von Standardisierungspraktiken wird, die Normen und Verfahrensregeln für gutes Regieren kodifizieren.

Romy & Jonathan: Worin liegt dein Forschungsinteresse und in welche thematische Richtung führt deine Promotionsarbeit?

David: Ich beschäftige mich bereits seit einigen Jahren intensiv mit der Europäischen Zentralbank und seit Beginn meiner Promotion verstärkt mit den Aktivitäten der EZB im Bereich Zahlungsverkehr. Derzeit entwickelt die EZB einen Digitalen Euro, mit dem die Bürger*innen in Zukunft bargeldlos über ihr Smartphone bezahlen könnten. Standardisierung und Regelsetzung nehmen im Projekt der EZB einen hohen Stellenwert ein, Standards sollen hier operative Verantwortlichkeiten und technische Prozesse definieren. Dabei geht es insbesondere um die Entwicklung von technischen Standards, die eine einheitliche Implementierung des Digitalen Euro bei den Intermediären (Banken und Zahlungsdienstleistern) sicherstellen sollen, die letztendlich den Vertrieb des Digitalen Euro übernehmen werden. Meine Arbeit konzentriert sich auf die Aushandlung dieser Standardisierungsprozesse und fragt nach den konfligierenden normativen und politischen Ambitionen, die in die Entwicklung der gemeinsamen Regeln einfließen.

„In der Soziologie werden Zahlungssysteme als zentrale Infrastrukturen verstanden“

Romy & Jonathan: Vielen Dank für den Einblick in dein Vorhaben. Inwieweit ist dein Forschungsvorhaben von gesellschaftlicher Relevanz?

David: In der soziologischen Forschung werden Zahlungssysteme in den letzten Jahren zunehmend als zentrale Infrastrukturen verstanden, die – oft abseits der gesellschaftlichen Wahrnehmung – wichtige gesellschaftliche und hier insbesondere finanzielle Prozesse ermöglichen, ohne die moderne (Markt-)Gesellschaften nicht funktionieren würden. Mit dem Digitalen Euro wird derzeit nicht nur eine öffentliche und europaweit funktionierende Zahlungsinfrastruktur konzipiert, das neue Zahlungsverfahren könnte auch die Arbeitsteilung zwischen EZB und Bankensektor grundlegend verändern. In den Standardisierungsprozessen rund um den Digitalen Euro, so meine These, werden die Konflikte um die Reichweite dieser Transformation besonders sichtbar und politisiert.

Romy & Jonathan: Hat sich dein Promotionsvorhaben verändert oder konkretisiert, seitdem du Teil von „Standards des Regierens“ bist?

David: Seit Beginn meiner Promotion im GRK hat sich nicht nur die theoretische Perspektive auf Standardisierungsprozesse durch die vielfältigen Diskussionen innerhalb des Kollegs konkretisiert, sondern auch die Art und Weise, wie ich die Auseinandersetzungen und Konflikte in der Entwicklung von Standards empirisch untersuche und verstehe. Dies hat sicherlich auch damit zu tun, dass die konkrete Arbeit des Standardisierungsgremiums bei der EZB erst im Januar 2023 begonnen hat und ich meinen empirischen Zugang entsprechend an die Entwicklungen im Digitalen Euro Programm anpassen musste.

„Die Vielfalt der Literatur- und Forschungszugänge wird immer wieder sichtbar“

Romy & Jonathan: Eine Promotion in einem Graduiertenkolleg unterscheidet sich von anderen Promotionsformen. Worin bestehen aus deiner Sicht die Vorteile, wenn man in einem Graduiertenkolleg promoviert?

David: Hervorzuheben ist sicherlich die enge Zusammenarbeit mit einem sehr interdisziplinären Zusammenschluss an Professor*innen, Fellows, Post-Docs, Assoziierten und den anderen Kollegiat*innen. Dadurch entstehen nicht nur sehr anregende Diskussionen zwischen den von unterschiedlichen Disziplinen und Perspektiven geprägten Teilnehmer*innen, sondern es erweitert sich auch der programmatische und forschungspraktische Horizont über die Anbindung an die betreuende Professorin hinaus. Eine Promotion in einem Graduiertenkolleg lebt also von einer hohen institutionellen Einbettung, die die Orientierung im oft herausfordernden Promotionsprozess deutlich erleichtert.

Romy & Jonathan: Dieses Graduiertenkolleg umfasst Politikwissenschaftler:innen, Soziolog:innen, Philosoph:innen und Rechtswissenschaftler:innen. Inwieweit hilft dir diese Interdisziplinarität und Diversität bei deinem Promotionsvorhaben?

David: Die Vielfalt der Literatur- und Forschungszugänge zum Thema des Graduiertenkollegs wird in den Diskussionen innerhalb des Kollegs immer wieder sichtbar. Dies erleichtert nicht nur die Aneignung von Forschungsliteratur, sondern ermöglicht auch einen kritischen und umfassenderen Blick auf das Forschungsphänomen Standards und Standardisierung. Die durchaus kontrovers geführten Diskussionen zwischen Prof*innen und Kollegiat*innen haben sicherlich ihren Ursprung in den disziplinären Unterschieden und fördern eine kritische Auseinandersetzung mit und Entwicklung der eigenen (Forschungs-) Perspektive.

Romy & Jonathan: Wie wirkt sich die Kooperation zwischen der Goethe-Universität und der Technischen Universität Darmstadt auf deine Forschung/Promotion aus?

David: Die Kooperation erhöht nicht nur die Interdisziplinarität des Kollegs, sondern ermöglicht auch Einblicke in andere Forschungskontexte und erleichtert den möglichen Anschluss an für die eigene Forschung interessante Kooperationen. Dadurch entsteht ein Zugang und eine Zusammenarbeit mit Professor*innen und anderen Forschenden, die bei einem Fokus auf die eigene Universität so nicht gegeben wäre. Darüber hinaus ermöglicht die Kooperation auch interessante Einblicke in forschungsorganisatorische Abläufe. 

„Die empirische Erkundung des eigenen Feldes“

Romy & Jonathan: Welchen Zugewinn für deine Promotion versprichst du dir von den internationalen Forschungsaufenthalten, die im Rahmen des Graduiertenkollegs angeboten werden?

David: Ein internationaler Forschungsaufenthalt kann höchst gewinnbringende Einblicke in andere Forschungskulturen ermöglichen und durch die enge Anbindung an eine einschlägige Forscher*in im eigenen Feld den eigenen theoretischen und empirischen Horizont erweitern und damit ein gewichtiger Baustein für die erfolgreiche Umsetzung des Forschungsvorhabens sein. Ein Forschungsaufenthalt ermöglicht auch die Diskussion und Präsentation der eigenen Forschung in einem anderen Kontext und damit die Weiterentwicklung und Spezifizierung der eigenen Arbeit.

Romy & Jonathan: Wie werden deine nächsten Monate rund um deine Forschungsarbeit aussehen?

David: Die nächsten Monate werden von der qualitativen Analyse der bereits geführten Interviews mit EZB- und Bankenvertreter*innen und der anschließenden weiteren Interviewakquise geprägt sein. Nach einem eher konzeptionell geprägten ersten Jahr liegt der Schwerpunkt 2024 somit auf der empirischen Erkundung des eigenen Feldes und der Entwicklung und Präsentation erster Perspektiven, die sich aus der Interview- und Dokumentenanalyse ergeben.

Herzlichen Dank für deine interessanten Antworten.

Das Interview wurde von Romy Knappe und Jonathan Mück geführt.

Romy Knappe ist Studentische Hilfskraft am DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ seit August 2023.

Jonathan Mück ist Studentische Hilfskraft am DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ seit Mai 2023.