Ein Interview mit dem Kollegiaten Stefan Meyer

Von der Themenfindung bis zum Motivationsschreiben

Romy & Jonathan: Guten Tag, Stefan. Du bist seit April 2023 Teil des Graduiertenkollegs. Was war deine Motivation dich für das GRK „Standards des Regierens“ zu bewerben.

Stefan: Als der initiale Call of Applications Mitte Dezember 2022 veröffentlicht wurde, hatte ich gerade meine Masterarbeit abgegeben. Die Ausschreibung des GRK kam mir wie eine einmalige Chance vor: Die Idee einer bezahlten Promotion war überaus attraktiv, an den Universitäten in Darmstadt und Frankfurt hatte ich mich während des Masterstudiums schon sehr wohl gefühlt, und dass auch der Arbeitsbereich „Politische Theorie und Ideengeschichte“ unter der Leitung von Prof. Dr. Dirk Jörke mit von der Partie war (bei dem ich mir sicher war, dass es menschlich wie inhaltlich passen würde), machte die Entscheidung denkbar einfach. Der ungleich schwierigere Teil kam danach: Recherche, Themenfindung, Projektskizze und Motivationsschreiben, dann Bewerbungsgespräch, Zittern, Hadern, Hoffen – und dann, schlussendlich: Erleichterung und Vorfreude.

„Das Denken von Robert Dahl spielt dabei eine Schlüsselrolle“

Romy & Jonathan: Der Titel des Graduiertenkollegs ist weit gefasst. Was sind deine ersten Gedanken zu „Standards des Regierens“?

Stefan Meyer ist 30 Jahre alt und seit April 2023 Kollegiat im DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“. Zuvor absolvierte er seinen Master in „Politische Theorie“ an der Goethe-Universität Frankfurt und der TU Darmstadt.

Stefan: Gerade für einen Politischen Theoretiker wie mich, der während des Studiums gelernt hat, auf Begrifflichkeiten besonders achtzugeben, ist klar: Das ist eine ungeheuer spannungsgeladene Kombination. Einerseits geht es um „Regieren“, also um Macht, Lenkung und Autorität. Hier ist aber schon auffällig, dass der Akzent nicht auf der ausübenden Institution liegt (sonst hieße es ja „Regierung“), sondern auf der Tätigkeit respektive dem Prozess. Das ist eine interessante begriffliche Weichenstellung, mit welcher der Blick auf Phänomene und Vorstellungen jenseits der klassischen Nationalstaatlichkeit geweitet wird. Der Begriff der „Standards“ scheint andererseits zunächst gar nicht dazu zu passen, beschreibt er gemeinhin doch eher öde, unspektakuläre Vorgänge wie industrielle Normungen. Das evoziert bei mir dann aber direkt Assoziationen an eine Rhetorik vermeintlichen Sachzwangs, an Entpolitisierung und Technokratie. Und dann schwingen ja auch noch diverse andere Konnotationen mit, etwa ein Verständnis von „Standards“ als hehren Idealen, die es anzustreben gilt.

Romy & Jonathan: Worin liegt dein Forschungsinteresse und in welche thematische Richtung führt deine Promotionsarbeit?

Stefan: Dass ich mich besonders für die Demokratietheorie und Ideengeschichte interessiere, dies aber mit einem normativen Erkenntnisinteresse verbinde, spiegelt sich auch in meinem Dissertationsprojekt wider. Konkret gehe ich der Frage nach, wo der Trend zu „Standards des Regierens“ – und damit insbesondere: „Good Governance“ – eigentlich herrührt und wie dieses Phänomen zu erklären und bewerten ist. Das Denken von Robert Dahl spielt dabei eine Schlüsselrolle: als Ausgangspunkt einer besonderen demokratietheoretischen Konstellation, auf die „Good Governance“ als das finale Glied verschiedenster gescheiterter Entwürfe und in einer durchaus folgerichtigen Gestalt reagiert, aber auch als immanenter Maßstab, um die Implikationen, Unzulänglichkeiten und Gefahren dieser demokratietheoretischen Neuerung aufzuzeigen und stattdessen an vorschnell abgeschriebene Überlegungen zu erinnern, die sich – so jedenfalls meine nicht völlig unbegründete Hoffnung – als instruktiv und tragfähiger erweisen könnten.

„Der Blick in die Ideengeschichte lehrt da leider Demut.“

Romy & Jonathan: Vielen Dank für den Einblick in dein Vorhaben. Inwieweit ist dein Forschungsvorhaben von gesellschaftlicher Relevanz?

StefanNaja, ich würde es mal so formulieren: Wenn sich das maßgebliche Verständnis von Demokratie und von demokratischer Legimitation schleichend verändert (und das nicht zwingend zum Besseren), geht das die Gesellschaft auf jeden Fall etwas an. Ich möchte zum Verständnis dieser Entwicklung beitragen und bin guter Dinge, dass mir das zumindest teilweise gelingen wird. Ich bin dabei aber nicht naiv: Der Umstand, dass selbst meine geschätzten Kollegiat:innen nicht zu 100% verstehen, worauf ich eigentlich hinaus möchte und was genau ich dabei vor Augen habe, erdet erheblich. (Lacht.) Zumal völlig klar ist, dass am Ende meiner Dissertation keine Wunderlösung stehen wird, mit der sich die Demokratie all ihrer Sorgen und Nöte entledigen wird. Der Blick in die Ideengeschichte lehrt da leider Demut.

Romy & Jonathan: Hat sich dein Promotionsvorhaben verändert oder konkretisiert, seitdem du Teil von „Standards des Regierens“ bist?

Stefan: Zur Vorbereitung auf dieses Interview habe ich mir noch einmal die zweiseitige Projektskizze durchgelesen, mit der ich mich damals beworben hatte, und muss sagen: Dieser Entwurf ist erstaunlich gut gealtert. Gerade die Idee, das alles an Dahl festzumachen und dadurch einen ideengeschichtlichen Ausgangspunkt, roten Faden der Kritik, immanenten demokratietheoretischen Maßstab und unabgegoltenes Potenzial in einem zu haben, ist noch immer die tragende Säule meines theoretischen Unterfangens. Aber natürlich ist das alles seither weitaus nuancierter, strukturierter und auch inhaltlich belastbarer geworden. Und die wegweisende Überlegung, nicht nur „Good Governance“, sondern auch Dahls multidimensionale Demokratietheorie als eine spezifische Form von „Standardisierung“ aufzufassen, was eine völlig neue Perspektive eröffnet, ist mir erst durch das GRK und dank des intensiven Austauschs mit Kolleg:innen in den Sinn gekommen.

„Das große Glück zu haben, von netten Kollegiat:innen umgeben zu sein, mit denen sich Freud und Leid teilen lässt.“

Romy & Jonathan: Eine Promotion in einem Graduiertenkolleg unterscheidet sich von anderen Promotionsformen. Worin bestehen aus deiner Sicht die Vorteile, wenn man in einem Graduiertenkolleg promoviert?

Stefan: Der Vorteil gegenüber einer selbst finanzierten, deshalb mutmaßlich berufsbegleitenden Promotion liegt auf der Hand: Wir werden dafür bezahlt und können uns deshalb besser auf das Schreiben konzentrieren. Mit einem Buchvertrag sind unsere Beschäftigungsverhältnisse allerdings nicht so wirklich gleichzusetzen, da von allen Kollegiat:innen erwartet wird, sich in das Forschungs- und Weiterbildungsprogramm des GRK einzubringen, was phasenweise ziemlich zeitintensiv sein kann.

Der Vorteil gegenüber einem Promotionsstipendium besteht darin, dass wir in unserer Forschungstätigkeit nicht alleine sind, oder jedenfalls nicht so sehr. Stattdessen haben wir Kolloquien, Oberseminare, Workshops und Tagungen, befinden uns in einem kontinuierlichen Austausch mit unseren zehn ProfessorInnen und haben das große Glück, von netten Kollegiat:innen umgeben zu sein, mit denen sich Freud und Leid teilen lässt. Gerade für Doktorand:innen ist ein derart empathisches Umfeld sehr, sehr viel wert.

Was dazu noch hinzukommt, bei mir in etwas stärkerem Maße als bei anderen: Die Zugehörigkeit zu einem GRK und eine enge Anbindung an den eigentlichen Arbeitsbereich des Erstbetreuers (oder der Erstbetreuer:in) schließen sich keinesfalls aus. Sogar dann nicht, wenn die Büros in unterschiedlichen Gebäuden liegen, wie das bei mir der Fall ist. Vielmehr habe ich auch engen Kontakt zu den Mitarbeiter:innen, die auf den dortigen Landesstellen beschäftigt sind, und auf Wunsch sogar die Möglichkeit, Proseminare zu übernehmen und mich in die Lehre einzubringen.

Romy & Jonathan: Dieses Graduiertenkolleg umfasst Politikwissenschaftler:innen, Soziolog:innen, Philosoph:innen und Rechtswissenschaftler:innen. Inwieweit hilft dir diese Interdisziplinarität und Diversität bei deinem Promotionsvorhaben?

Stefan: Wie mein Studienverlauf zeigt, habe ich mich niemals als einen reinen Politikwissenschaftler verstanden, sondern immer schon über die Fächergrenzen hinausgedacht. Wahrscheinlich bin ich auch deshalb in der Politischen Theorie gelandet, weil diese Disziplin immer schon eine unerschrockene Grenzgängerin war, die sich auch dort zuhause fühlt, wo die Soziologie, Philosophie, Geschichts- oder Rechtswissenschaft hoheitliche Ansprüche anmelden. Daher freut mich dieses interdisziplinäre Selbstverständnis ungemein.

Romy & Jonathan: Wie wirkt sich die Kooperation zwischen der Goethe-Universität und der Technischen Universität Darmstadt auf deine Forschung/Promotion aus?

Stefan: Der Zugewinn an Abwechslung und Möglichkeiten, der mit einer zweiten involvierten Hochschule einhergeht, ist natürlich ein großes Plus. Das war damals auch einer der wichtigsten Gründe dafür, warum ich mich für den Master in Frankfurt und Darmstadt entschieden hatte und nicht in Jena oder Innsbruck. Was es zudem in meiner gegenwärtigen Situation so besonders macht: Wohl auch aufgrund der eingeübten Kooperation zwischen den politikwissenschaftlichen Instituten beider Hochschulen sind in unserem GRK nicht nur ein, sondern – mit Sandra Seubert und ihren MitarbeiterInnen Lea Radke und Moritz Fromm – sogar zwei Lehrstühle für Politische Theorie mit von der Partie. Und ohne die Zusammensetzung aller GRKs zu kennen, wage ich doch die Behauptung, dass das eine einzigartige Konstellation ist, die mir wiederum natürlich sehr zusagt.

„Wie man im Heimatland von Robert Dahl heutzutage über ihn denkt und welche Irritationen mein recht europäischer Blick auf ihn auslösen wird.“

Romy & Jonathan: Welchen Zugewinn für deine Promotion versprichst du dir von den internationalen Forschungsaufenthalten, die im Rahmen des Graduiertenkollegs angeboten werden?

StefanWenn ich so ehrlich sein darf, bin ich mir gegenwärtig – also Ende Mai 2024 – selbst noch nicht sicher. Auch, da es sowohl hinsichtlich der Dauer als auch der möglichen Standorte meines Auslandsaufenthalts mehrere Optionen gibt, zwischen denen ich noch keine abschließende Entscheidung getroffen habe. Aber da es in jedem Falle auf die USA hinausläuft, da dies für meine Forschung am meisten Sinn ergibt: Es wird natürlich außerordentlich aufschlussreich sein, im persönlichen Austausch mit anderen Wissenschaftler:innen zu erfahren, wie man im Heimatland von Robert Dahl heutzutage über ihn denkt und welche Irritationen mein recht europäischer Blick auf ihn sowie meine ungewöhnliche ideengeschichtliche Einbettung und Nutzbarmachung auslösen wird. Dieser Perspektivenwechsel wird so ziemlich alles, was ich in meiner Dissertation bis dahin erarbeitet habe, auf den Prüfstein stellen, so viel scheint sicher. Aber alles weitere wird die Zukunft zeigen.

Romy & Jonathan: Wie werden deine nächsten Monate rund um deine Forschungsarbeit aussehen?

Stefan: In letzten Tagen und Wochen war ich mit sehr vielen Terminen und Verpflichtungen ausgelastet, sodass für meine eigentliche Dissertationsarbeit nicht so viel Zeit blieb, wie das zuvor durchgängig der Fall war. Oberseminar, Retreat, zwei Kolloquien (und dieses Interview), Lehre, Hochschulpolitik & Gewerkschaftsarbeit: Manchmal kommt einfach viel zusammen. Das könnte leider auch noch ein paar Wochen so weitergehen. Aber sobald sich das wieder ändert und mehr Ruhe einkehrt, werde ich weiterlesen, weiterdenken, weiterdiskutieren und weiterschreiben wie in den Monaten zuvor – und freue mich tatsächlich auch schon sehr darauf. Was, etwas mehr als ein Jahr nach Beginn meiner Tätigkeit im GRK, ein wirklich schönes Zeichen und ein erbauliches Zwischenfazit ist.

Herzlichen Dank für deine interessanten Antworten.

Das Interview wurde von Romy Knappe und Jonathan Mück geführt.

Romy Knappe ist Studentische Hilfskraft am DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ seit August 2023.

Jonathan Mück ist Studentische Hilfskraft am DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ seit Mai 2023.